Meine Plenarrede vom 11. Februar 2021 zur Wissenschaftsfreiheit

Plenarrede zum Thema Wissenschaftsfreiheit


 

Auszug aus dem Plenarprotokoll vom 11.2.2021:

„Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Gibt es ein Recht auf Wissenschaft? – Ja, dieses Recht gibt es. In Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht nämlich:

Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.

Es ist für mich mehr als verwirrend, wenn eine Partei, die einen engen Kontakt zu Verschwörungstheoretikern pflegt und ihnen sogar Zugang zu diesem Haus verschafft hat, eine Partei, die den menschengemachten Klimawandel ablehnt, eine Partei, die die Gleichstellungspolitik stets kritisiert, und eine Partei, die versucht, geschichtliche Fakten umzudeuten, heute den Eindruck erwecken will, die Wissenschaftsfreiheit zu schützen. Das ist für mich ein intellektueller Lockdown, was Sie hier machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das glaubt Ihnen doch niemand. Sie sind aus meiner Sicht unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in vielen Gegenden der Welt werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfolgt und in ihrer Arbeit eingeschränkt. Das ist für viele lebensbedrohlich und macht wissenschaftliches Arbeiten und berufliche Werdegänge unmöglich. Die Verursacher kommen aber nicht aus demokratischen Systemen oder aus dem, wie Sie auch sagen würden, „linken Mainstream“. Sie kommen aus Diktaturen, aus Systemen, die Menschenrechte mit Füßen treten. Sie kommen von rechts. Rechnen Sie bitte nicht damit, dass Ihre Aussagen ohne Widerspruch akzeptiert werden, weder hier im Plenum noch in den Hörsälen unseres Landes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Staatsministerin Michelle Müntefering hat mir mit einem Satz in ihrer Rede zum Humboldt-Jahr aus dem Herzen gesprochen. Sie sagte nämlich:

Es geht um die Demokratisierung von Wissen, es geht um das tiefe Verständnis, dass Kunst und eben auch Wissenschaft Orte der Freiheit sind und diese Orte Freiheit brauchen, um zu blühen.

Die Wissenschaft muss unabhängig von politischer Einflussnahme arbeiten. Demokratischer Diskurs muss immer möglich bleiben. Ich bin deshalb froh, in einem Land zu leben, das die internationale Kooperation von Bildung, Wissenschaft und Forschung intensiviert. Ich bin froh, in einem Land zu leben, das zum Beispiel durch die Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander-von-Humboldt-Stiftung verfolgten Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftlern Stipendien anbietet, damit sie hier weiter forschen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute ist der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft, und ich bin froh darüber, dass es einen Diskurs und berechtigte Kritik an einem Hochschulsystem gibt, in dem 25 Prozent der Professorinnen und Professoren männlich sind, in dem Forscherinnen mit Kindern in Coronazeiten Karriereeinbußen haben und in dem Arbeiterkinder dreimal geringere Chancen haben, überhaupt an eine Hochschule zu kommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ja, es gibt ein Recht auf Wissenschaft; aber es gibt kein Recht, Ihnen zuzustimmen. Die Wissenschaft ist frei, der Diskurs zu Wissenschaft und Wissenschaftlern bleibt frei. Schützen Sie mit uns gemeinsam die Demokratie! Schützen wir gemeinsam die Wissenschaftsfreiheit!

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)“